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von Rolf D. Kreyer
Erpresserischer Menschenraub nach § 239a StGB - umgangssprachlich "Entführung" genannt - trifft die Opfer und deren Angehörige meistens völlig unvorbereitet. Quasi über Nacht werden sie in eine schwere Lebenskrise mit akuter Todesangst gestürzt. Selbst exponierte Persönlichkeiten mit erhöhter Entführungsgefahr setzen sich nur äußerst selten vorab mit dieser Problematik auseinander. Durch die vergleichsweise geringen Fallzahlen realisierter Entführungen pro Jahr werden sie in dieser Haltung noch bestärkt.
Auf der Seite potentieller Opfer sind die Gründe für diesen Verdrängungsprozess vielfältig. Zum einen liegt es in der Natur des Menschen, bei der Beurteilung einer lebensbedrohenden Situation wahlweise überzogenen Aktionismus oder völlige Ignoranz zu zeigen. Zum anderen befürchten viele potentielle Opfer, durch notwendige Präventionsmaßnahmen gegen erpresserischen Menschenraub dermaßen stark in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt zu werden, dass sie das Risiko einer Entführung - als vermeintlich geringerem Übel - leichtfertig in Kauf nehmen.
Täterseitig erfordert ein erpresserischer Menschenraub eine erhebliche logistische Vorbereitung. Zudem werden Entführungen meistens von Tätern mit umfangreicher krimineller Karriere begangen. Dieser erfahrene, meist nicht mehr sehr junge Tätertyp hofft, dass er sich durch diesen "Supercoup" sämtlicher Geldsorgen für den Rest seines Lebens entledigen kann. Außerdem möchte der Entführer bei der Ausführung dieser Finaltat kein unkalkulierbares Risiko mehr eingehen.
Sollte der Täter bei der Ausspähung eines potentiellen Opfers Präventionsmaßnahmen erkennen, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit vom ursprünglich ausgewählten Opfer ablassen und sich ein anderes, völlig ungeschütztes Opfer aussuchen. Durch angemessene, verdeckte Präventionsmaßnahmen auf Seite der potentiellen Entführungsopfer können solche Vorbereitungshandlungen außerdem rechtzeitig erkannt und die Tat selbst möglicherweise noch im letzten Moment vereitelt werden.
Wird eine Entführung realisiert, so sind Panik, unkontrollierte Schockreaktionen oder auch eine völlige Blockadehaltung auf Seiten der Opferfamilie die Folge. Von nun an koordinieren die Strafverfolgungsbehörden den weiteren Geschehnisablauf. Die Opferfamilie selbst kann in dieser Situation meistens nicht mehr allein entscheiden - selbst wenn dieses von den Tätern ausdrücklich verlangt wird und es auch für das Überleben des Opfers wünschenswert erscheint.
Zwischen Strafverfolgungsbehörden einerseits und Opferfamilie andererseits entsteht ein gewaltiger Dissens. Meistens will die Opferfamilie die Lösegeldforderung aus Angst um das Leben des Opfers sofort erfüllen. Demgegenüber benötigen die Strafverfolgungsbehörden aus kriminaltaktischen Gründen Zeit, um den Täter zu orten. Notfalls wird die Opferfamilie sogar mit Hilfe staatlicher Gewalt an eigenen Aktivitäten gehindert. Ursächlich hierfür ist, dass Strafverfolgungsbehörden - neben der Gefahrenabwehr für das Opfer - auch den Auftrag zur Strafverfolgung auf Seite des Täter haben.
Je nach Verlauf der Entführung entscheiden die Strafverfolgungsbehörden zu einem bestimmten Zeitpunkt, die Öffentlichkeit über den Fall zu informieren, um damit den Fahndungsdruck auf den Täter zu erhöhen. Spätestens nun verlassen die Vertreter der staatlichen Gewalt ihre Deckung und möchten offen mit den Tätern verhandeln. Aus Angst vor kriminalistischen Fallen weigern sich aber viele Täter, direkt mit den Strafverfolgungsbehörden in Verhandlungen zu treten. Stattdessen wünschen sie einen professionellen Verhandlungspartner, der nicht der staatlichen Gewalt angehört. Hierdurch kann es im Extremfall zum Bruch der ohnehin spannungsgeladenen Beziehung zwischen der Opferfamilie und den Strafverfolgungsbehörden kommen.
Ist das Hinzuziehen eines professionellen Verhandlungspartners unumgänglich, so beginnt im Umfeld der Opferfamilie zumeist eine hektische Suche nach einem geeigneten Kandidaten. Neben Rechtsanwälten und Sozialarbeitern werden häufig auch kirchliche Würdenträger als Vermittler in Erwägung gezogen. Die betreffende Person darf einerseits nicht über zu offenkundige kriminalistische Kenntnisse verfügen, um den Täter nicht zu verschrecken. Andererseits sollte der professionelle Verhandlungspartner aber ausreichende Milieukenntnisse mitbringen und insbesondere die "Sprache" des Täters sprechen, damit Verständigungsprobleme vermieden werden.
Wird ein passender Verhandlungspartner gefunden, so befindet sich dieser in einem dreifachen Spannungsfeld:
Die hier aufgezeigten Probleme und Spannungsfelder machen deutlich, dass ein professioneller Verhandlungspartner - neben entsprechenden fachlichen Qualifikationen - auch über die nötige persönliche Reife verfügen muss. Er sollte aufgrund seiner Fachkenntnisse von den Beteiligten schnell respektiert werden und auf Basis seiner Lebenserfahrung unter dem Druck der Ereignisse verantwortungsbewusst handeln können.
Mit der Befreiung des Entführten ist sowohl für das Opfer als auch für seine Angehörigen ein vorläufiges Ende der Ausnahmesituation erreicht. Der professionelle Verhandlungspartner muss sich dagegen unmittelbar als Zeuge den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellen und damit einen wesentlichen Beitrag zur rechtskräftigen Verurteilung des Täters leisten. Auch nach Abschluss des Verfahrens sollte der Verhandlungspartner niemals von sich aus an die Öffentlichkeit treten. Ein solcher Schritt bleibt stets den Strafverfolgungsbehörden oder dem Opfer vorbehalten.
Insgesamt kann entführungsgefährdeten Personen und ihren Angehörigen nur nachdrücklich geraten werden, sich bereits im Vorfeld mit den Möglichkeiten einer Entführungsprävention zu beschäftigen. Durch rechtzeitige Kontaktaufnahme mit entsprechend qualifizierten externen Verhandlungspartner kann das nötige Vertrauensverhältnis schrittweise aufgebaut werden.
Rolf D. Kreyer
Kreyer Security
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Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
6. Jahrgang (2003), Ausgabe 9 (September)
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Letzte Aktualisierung: Dienstag, 10. September 2024
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